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Die bauliche Umsetzung

Das architektonische Konzept wurde von dem Düsseldorfer Architekturbüro greeen! architects in einem intensiven Dialog und in Zusammenarbeit mit der Moses Mendelssohn Stiftung entwickelt. In einem längeren Prozess wurden im persönlichen Austausch Wunsche und Ideen der Moses Mendelssohn Stiftung an das Architekt:innenteam übermittelt, die diese im respektvollen Umgang mit dem Ort in eine konkrete architektonische Planung gebracht haben. Wunsch war es, auch architektonisch den historischen Kontext herzustellen und dabei sowohl den Bezug zum Judentum zu zitieren, als auch auf den Versuch des NS-Staates hinzuweisen, jegliches jüdisches Leben und dessen Symbolik aus der deutschen »Volksgemeinschaft« zu eliminieren.

Aus der Vogelperspektive wird somit ein fragmentierter Davidstern, jenes zentrale Symbol des Judentums, sichtbar. Allerdings ist die Symbolik dekonstruiert, die beiden übereinandergelegten Dreiecke unvollständig, was auf die Leerstellen verweist – im übertragenen Sinne die Tausende von Jüdinnen und Juden, die von Berlin aus deportiert wurden und nur mehr als eine namenlose Zahl von über 50 000 erinnert werden. Als work in progress sollen künftig jene Leerstellen durch Forschung und Vermittlung am authentischen Ort sichtbar gemacht werden. Das fehlende imaginäre Dreieck soll als Triangel aus Leben, Lernen und Lehren die Leerstelle durch eine Dokumentations- und Lernstelle sichtbar und erfahrbar machen.

Die Moses Mendelssohn Stiftung hat sich bewusst für eine Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro greeen! architects entschieden, aus mehreren Gründen. Die drei »e« in greeen! architects stehen für ethical, ecological und efficient. Kontinuierlich beschäftigen sich greeen! architects mit ethischen, ökologischen und ökonomischen Perspektiven, die in ihre Projekte einfließen. Bei der Konzeption und Ausführung der Entwürfe und Bauwerke ist für greeen! architects die Schaffung von sozialen Mehrwerten, sowohl für die späteren Nutzer:innen als auch für ihre Bauherrschaft, essentiell. Für jedes Bauprojekt entwickelt das Architekturteam ein projektbezogenes Ökologiekonzept zur Schaffung gesunder Lebensräume und Reduzierung des CO₂ Fußabdrucks. Das interdisziplinäre, transparente Kommunizieren auf unterschiedlichen Ebenen ist für greeen! architects die Voraussetzung für die Entwicklung optimaler Lösungen im Planungs- und Bauprozess.

Für den Else Ury Campus in Berlin-Grunewald sind in der Planung drei Wohngebäude vorgesehen, die sich um einen Quartiersplatz mit dem Dokumentationszentrum ordnen. Der begrünte Platz mit dem Zentrum im Mittelpunkt dient für die Besucher:innen des Mahnmals und Dokumentationszentrums und die Bewohnerschaft des Campus als Begegnungsfläche, um sich über den historischen Ort und seine Geschichte auszutauschen. Vom Mahnmal »Gleis 17« eröffnet sich der Blick auf die Gleisanlagen des Bahnhofs Grunewald. Als gedankliche und perspektivische Fortführung der Eisenbahngleise werden die Bestandsbäume des Campusgeländes um weitere Bäume ergänzt, die den »Hain der Menschlichkeit« bilden. Die Fassade der Gebäude setzt sich aus vertikal ausgerichteten Holzlamellen zusammen, die durch Elemente aus Cortenstahl ergänzt werden. Beide Materialien finden sich im unmittelbaren Umfeld des Planungsgebiets und erinnern an die Vergänglichkeit des Lebens, besitzen aber gleichzeitig eine Dauerhaftigkeit, um Geschichte zu erzählen. Die Holzfassade greift optisch den alten Baumbestand und den »Hain der Menschlichkeit« auf. Cortenstahl mit seiner rötlichen Patina erinnert in seiner Optik an die angerosteten Eisenbahnschienen des Gleis 17. In seiner Materialsprache tragt der verwitterte Stahl die Mahnung in sich, dass von diesen Gleisen nie wieder ein Zug abfahren wird. Beide Materialien bilden durch ihre Symbolik eine Brucke in die Vergangenheit. Die Optik der Gebäude schafft eine Einheit, die zugleich Vielfalt und Identität ermöglicht. Neben den Studierendenapartments ist in einem der Gebäude im Erdgeschoss ein Dokumentationszentrum vorgesehen. Das Ausstellungsgebäude ist vom Mahnmal »Gleis 17« erkennbar – eine Sichtachse entsteht zwischen dem Ort des Erinnerns und dem Mahnmal. Die Fassade rund um den Eingang des Ausstellungsraums bildet in Spiegelschrift und auf dem Kopf stehend jene Deportationsorte ab, die von Berliner Bahnhöfen aus angefahren wurden. Die zunächst unleserliche Schrift verkörpert die Unfassbarkeit des Holocausts.

Bleiben diese Orte auf den ersten Blick noch verschlüsselt, werden sie beim Betreten des Ausstellungsraums durch die Sonneneinstrahlung dekodiert und als Teil der Ausstellung für die Besucherinnen und Besucher lesbar. Auf diese vielfältige Art und Weise schafft das Projekt einen Gedenkort, der eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit herausfordert und eine Mahnung an die Zukunft darstellt.

zur Vorhabenbeschreibung Else Ury Campus

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